CSU, Sprache und Integration

Umgekehrt wird ein Schuh draus

Aus gegebenem Anlass überlege ich gerade, wie das wohl wäre, wenn ich ins Ausland ginge. Gründe dafür gäbe es ja zu genüge – um dem dann doch immer irgendwie prekären Freiberufler-Dasein zu entgehen etwa, oder um einfach mal von etwas anderem umgeben zu sein als der aktuell mal wieder so virulenten German Angst.

Was also wäre, wenn ich ein Jobangebot bekäme, das ich nicht ablehnen kann, in einem Land, dessen Sprache ich absolut nicht beherrsche? Gut, dieses Gedankenspiel offenbart zunächst einmal durchaus Positives: Deutsch, Englisch und Französisch beherrsche ich; über Spanisch und Italienisch habe ich zumindest einen Überblick, zu Niederländisch einen Zugang, Portugiesisch ist mir nicht unbegreiflich, Schwedisch, Dänisch und Norwegisch könnte ich vermutlich auch relativ schnell erlernen.

Aber was wäre mit, sagen wir, Griechisch? Oder Japanisch? Das sind Sprachen, zu denen ich keinen Bezug habe, von denen ich nie etwas aufschnappen konnte, die mir gänzlich unbekannt sind. Ich könnte keine Brücken bauen, keine Analogien finden, keine Gemeinsamkeiten. Selbst die Schrift wäre mir fremd.

Natürlich wüsste gerade ich als Übersetzer, dass es wichtig ist, die Sprache des Landes zu lernen, in dem ich zu arbeiten gedenke – schon allein, weil es das Leben leichter macht, die Lebensqualität verbessert. Jeder, der schon mal im Bus oder in der U-Bahn gesessen hat, ohne auch nur die Durchsagen zu verstehen, weiß, wie unbehaglich sich das anfühlen kann. Im Umkehrschluss bedeutet das: Eine Sprache verstehen hat also immer auch etwas mit Behaglichkeit zu tun. Wer sich nur auf die Interpretation von Dingen wie Blicken, Gesten, Mimik oder Lautstärke verlassen kann, neigt erfahrungsgemäß nicht notwendigerweise dazu, seine Wahrnehmungen wohlwollend auszulegen.

Also würde ich mir die Sprache aneignen, möglichst sogar schon vor im Vorfeld. Springender Punkt dabei: Es setzt voraus, dass es so etwas wie ein Vorfeld überhaupt gibt. Ich müsste die Zeit, das Geld und die Möglichkeit dazu haben. Flüchtlinge haben alles drei per se nicht und selbst ausdrücklich angeforderten Fachkräften – sofern sie nicht Pep Guardiola heißen – dürfte ihr Alltag diesbezüglich Grenzen setzen. Ohne Zeitdruck in der VHS ein bisschen Englisch, Französisch oder Spanisch büffeln, weil man Spaß daran hat, ist eine Sache. Neben der Arbeit und der Organisation eines Umzugs ins Ausland eine mehr oder minder »exotische« neue Sprache lernen, weil man muss, eine andere.

Aber setzen wir mal voraus, dass ich tatsächlich ein taugliches Unterrichtsangebot gefunden hätte. Im Optimalfall würde ich dann in Griechenland oder Japan ankommen und hätte mir ein paar Grundkenntnisse der jeweiligen Landessprache angeeignet – auf eigene Kosten und in der Freizeit, die ich als Selbständiger eigentlich sowieso nicht habe. Wahrscheinlich wäre ich dennoch unsicher und würde insgeheim hoffen, mir zumindest am Anfang noch mit Englisch behelfen zu können – immer auf die Gefahr hin, dass aus diesem Behelf aus reiner Bequemlichkeit etwas Permanentes wird, weil es halt auch so irgendwie funktioniert.

Wahrscheinlich wäre ich also darauf angewiesen, dass es in Griechenland oder Japan verpflichtenden Sprachunterricht für mich gibt. Verpflichtend deshalb, weil ich Qualität und Standards von Unterricht in beiden Ländern nicht beurteilen kann. Ich müsste ich mich blind darauf verlassen können, dass die Lehrkräfte fachlich kompetent sind. Und deshalb, weil selbst ich mit meinem Wissen um und meiner Liebe zu Sprachen mich disziplinieren müsste. Ich müsste mich überwinden, gegebenenfalls noch einmal die Schülerrolle einzunehmen. Ich müsste dem Impuls widerstehen, nach der Arbeit einfach nach Hause zu gehen und abzuschalten. Ich müsste die Kraft aufbringen, mich nicht ins Private zu flüchten sondern im Gegenteil noch einmal Stress auf mich zu nehmen, raus zu gehen, in eine fremde Umgebung, unter fremde Menschen, denen ich nicht auf Augenhöhe begegne.

Und natürlich würde ich mich wohler fühlen, wenn mir auf Behörden, zu denen ich als Hilfe Suchender gehe, nicht das Gefühl gegeben würde, ein Bittsteller zu sein. Ich würde mir wünschen, dass dort geduldige, nachsichtige Menschen arbeiten, die nett zu mir sind, die mir vielleicht sogar mal ein Lächeln schenken.

Ich schreibe all das, weil ich neben dem Spott, den die CSU quer durch alle politischen Lager für ihren Vorstoß zur »Deutschpflicht« geerntet hat, in vielen Kommentaren auch einen beklagenswerten Mangel an Empathie festgestellt habe. Da schreiben Menschen beispielsweise, ihnen sei in Frankreich auf dem Arbeitsamt gesagt worden, sie sollten erst mal Französisch lernen. Oder es regen sich Menschen darüber auf, dass sie nichts verstehen, wenn Zuwanderer untereinander in ihrer Muttersprache sprechen. Oder sie führen Beispiele von Vierjährigen in der Kita an, die kein Deutsch sprechen.

Ich nehme an, bei der CSU haben sie auf genau diese Reaktionen abgezielt, die am Thema vorbei gehen und doch zugleich das Thema sind. Denn der Erfahrungsbericht aus dem Arbeitsamt in Frankreich soll ja bestimmt nicht aussagen, dass es gut so war, nicht weiter schlimm und dem Wohlbefinden förderlich. Dennoch wird impliziert, auch deutsche Behörden sollten so mit Personen umgehen, die unsere Sprache nicht sprechen. Das ist eine verstörend kalte »Logik«.

Ich persönlich würde eventuell tatsächlich auch im Privaten zu lernen versuchen – ganz simpel etwa über das Fernsehen oder Zeitschriften. Fußballmagazine böten sich für mich zum Lernen an, denn Fußballsprech ist irgendwie überall gleich. Oder vielleicht ein Film oder eine Serie, die ich schon kenne und von der ich mithin weiß, worum es geht.

Aber irgendwann würde ich dann eben doch mal meine Ruhe haben wollen. Irgendwann würde ich die drückenden Lackschuhe der Fremdsprache ausziehen und in die bequemen Treter der Muttersprache schlüpfen wollen. Weil Sprache nämlich mehr ist als Vokabeln und Grammatik. Sprache ist Heimat. Sprache ist Tradition. Sprache ist Kultur.

All das würde ich im Ausland selbstverständlich nicht verlieren wollen – zumal dann nicht, wenn mir hier in Deutschland ständig erzählt worden ist, welch großen Vorteil Mehrsprachigkeit doch darstellt. Auch das, freilich, ist more often than not Ausdruck von German Angst, geht es bei dieser frühkindlichen Förderung in ihrer propagierten Form doch meist eher um einen diffusen »Wettbewerbsvorteil« gegenüber Chinesen, Japanern oder Indern, die ganz gewiss auch irgendwann bei jedem einzelnen von uns auf der Matte stehen werden, um anteilig die deutschen Staatsschulden einzutreiben.

Wenn ich in meinem Bekanntenkreis erzähle, dass ich mit Kindern in meiner Einflusssphäre gern mal Englisch spreche, folgt darauf nicht selten zunächst einmal Skepsis – und das durchaus mit Recht. Denn ich spreche Englisch fließend und akzentfrei, aber natürlich nicht perfekt. Ich stolpere manchmal über den korrekten Gebrauch der Zeiten, über Idiome oder schlicht über den Zeitgeist und den permanenten sprachlichen Wandel.

Aber darum geht es mir nicht, wenn ich mit Kindern Englisch spreche. Es geht, gerade bei den ganz Kleinen, schlicht darum, dass sie die Sprache schon einmal gehört haben sollen, um ihren Klang, um eine Prägung, um die Bildung von Neuronen. Es geht um die Öffnung eines Horizonts, es geht um Anregung.

Das alles könnte natürlich auch die CSU für sich und ihren Lightantrag reklamieren, wonach in Deutschland lebende Zuwanderer auch privat möglichst deutsch sprechen sollen: dass es sich dabei um eine harmlose kleine Anregung handelt, mehr nicht.

Aber weil Sprache (siehe oben) eben mehr ist als Vokabeln und Grammatik, steckt eben doch mehr dahinter. Nicht umsonst heißt es, der Ton macht die Musik. Wenn also ein Konsensthema anlasslos auf die Tagesordnung gesetzt wird, so ist das zunächst einmal eine Botschaft nach innen. Die CSU will damit gar nicht in erster Linie Zuwanderer ansprechen, sie richtet sich an ihre Klientel, die sie nicht an die AfD verlieren will. Sie will Aufmerksamkeit (und hat sie bekommen).

Zugleich bleibt aber eben auch der Tonfall, der schlicht von einer Abwehrhaltung zeugt. Man stelle sich nur mal vor, der türkische Präsident Erdogan hätte sich in eine solche Aussage verstiegen: Wer dauerhaft in der Türkei leben will, sollte auch im privaten Bereich Türkisch sprechen. Die Leute von der CSU wären vermutlich die ersten und die schärften Kritiker einer solchen Forderung.

Natürlich ist es schlecht, wenn Kinder in Deutschland nicht auch die deutsche Sprache beherrschen. Nur: Von den Nicht-Muttersprachlern in ihrem privaten Umfeld lernen sie es im Zweifelsfalle eben nicht oder bestenfalls schlecht. Wie das ist, wenn man sich als Nicht-Muttersprachler und »Ungelernter« in einer Fremdsprache bewegt, haben übrigens gerade Beispiele aus CDU und CSU schon gezeigt.

Oder würden Sie wollen, dass Alexander Dobrindt seine Englischkenntnisse an die nächste Generation weitergibt?

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