Romantagebuch Teil 2: Persönliches, Erfahrungen und Prägendes

In eigener Sache

Vorab: Ich kann nicht mit keiner Aschenputtel-Geschichte dienen. Ich habe keines meiner Bücher in einem Café geschrieben, weil ich es mir nicht leisten konnte, die eigenen vier Wände zu heizen. Ich habe keines meiner Bücher mit dem Druck geschrieben, dass das Geld am Monatsende nicht reicht. Ich habe noch nie mit aufgespanntem Regenschirm im Bett gesessen, weil das Dach undicht war und immer zutraulicher werdenden Ratten bei der Okkupation meiner schäbigen Dichterklause zugesehen.

Viele stellen einen Zusammenhang zwischen dem Schreiben und meiner Behinderung her. Das Idiotische daran ist: Es gab mal Zeiten, da hätte ich ihnen zugestimmt. Aber irgendwann habe ich mir bewusst gemacht, dass die weitaus meisten Autoren nicht behindert sind bzw. – um mich mal politisch korrekt auszudrücken – keine Behinderung haben.

Fakt ist aber: Als von Geburt an körperbehindertes Kind habe ich einige Fähigkeiten früher entwickelt als andere Kinder. Sprechen gehörte möglicherweise dazu. Möglicherweise gehört auch meine Beobachtungsgabe dazu. Fakt ist ferner: Meine Eltern haben mich schon in ganz jungen Jahren mit in Urlaub genommen – in die Niederlande, nach Belgien, Spanien und Portugal, später nach Jugoslawien. Noch später bin ich selbst nach England und Wales gereist.

Meine Eltern waren sehr jung, wir schrieben die Siebzigerjahre, es waren Gemeinschaftsurlaube mit Freunden, tagelange Autofahrten im alten Opel Ascona bis zum Campingplatz inklusive. Ich erinnere mich noch lebhaft an einen Papagei in einem Restaurant in Südspanien, der angekettet auf einer Stange saß und zu meinem Erstaunen Spanisch sprach. In meiner kindlichen Vorstellung sprachen alle Papageien, wenn sie denn sprachen, Deutsch. Wenn der Papagei böse wurde, stellte er die Nackenfedern auf. Davor hat mich mein Vater gewarnt. Ich war enttäuscht, weil ich nicht wusste, womit ich den Unmut des exotischen Federviehs erregt hatte, zumal sich der Papagei mangels Deutschkenntnissen auch standhaft weigerte, es mir zu erklären.

Ich erinnere mich auch noch an einen Esel in Latzhosen im heutigen Kroatien. Sein Schrei klang immer, als bediene jemand eine völlig eingerostete alte Wasserpumpe, wie wir sie noch im Dorf stehen hatten. Vor allem aber erinnere ich mich an freundliche Menschen – an Slavka und Vico und Dina, an die stets schwarz gewandete Baba, am Grill stehend und frischen Fisch brutzelnd und zahnlos auf mich einredend. Ich habe natürlich kaum ein Wort verstanden, aber das störte weder sie noch mich.

Ich erinnere mich an Tante Jül und Onkel Piet. Normalerweise war es bei uns unüblich, zu Fremden »Onkel« und »Tante« zu sagen und ich fand das schon als Kind immer mindestens merkwürdig, um nicht zu sagen doof. Aber Tante Jül und Onkel Piet gehörten für mich tatsächlich immer zur Familie. Sie hatten eine unglaubliche, unvergleichliche Herzlichkeit und Wärme, Tante Jül und ihre Schwester Frankie zudem große Eleganz und Würde.

Ich erinnere mich an vollgestopfte holländische Häuschen ohne so etwas wie »Stil« oder »Linie«, an exotische Gerüche und köstliches indonesisches Essen. Multi-kulti würde man heute sagen.

Natürlich bin ich auch gehänselt worden. Natürlich hat es auch alte und neue Nazis und andere Alltagsfaschisten gegeben. Aber deren Dummheit wurde stets durch aufgewogen durch Familie, Freunde, Nachbarn und viele, viele nette Begegnungen und Begebenheiten des Alltags. So bleibt unterm Strich nur, dass ich ein Mann »mittleren Alters« bin, der inzwischen auf einiges Gelebtes zurückblicken kann – Schönes und weniger Schönes, wie das eben so ist. Was davon mich wie sehr geprägt hat, vermag ich nicht zu sagen. Was davon wie und warum Eingang in die hier beschriebenen Bücher gefunden hat, weiß ich möglicherweise auch nur bedingt. Einiges werde ich erklären oder zu erklären versuchen. Sicher ist nur: Die Zeit der Großen Wanderschaft ist eine persönliche Geschichte, aber keine autobiografische. Ich halte es in diesem Punkt mit dem von mir verehrten Heinz-Rudolf Kunze: Ein Dichter heißt Dichter, weil er Dinge erdichtet. Ich verarbeite in Die Zeit der Großen Wanderschaft nur bedingt selbst Erlebtes, wohl aber von anderen Erfahrenes, Berichtetes, Erzähltes. Manches habe ich weitergesponnen, manches aufgenommen, manches auch komplett gesponnen. Autobiografie-Fetischisten und Freudianern kann ich daher nur ein Zitat des von mir ebenfalls verehrten Sängers Fish entgegenhalten: »Read into that what you will.«

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