Romantagebuch Teil 4: Von der Kneipe übers LARP zum Buch

Wie alles begann

Die Zeit der Großen Wanderschaft hat ihren Ursprung irgendwann Anfang der Neunzigerjahre in einer Kneipe namens Trains Pub im pfälzischen Germersheim. Wie der Name schon sagt, ist der Trains Pub der ehemalige Bahnhof. Zu meiner Zeit war es dort urig und gemütlich. Zudem lag der Trains Pub nicht weit von meinem Wohnheim entfernt, so dass ich den Weg zurück notfalls auch noch mit schwirrendem Kopfe und auf allen Vieren kriechend bewerkstelligt hätte. Die dort erlebten Anekdoten würden sicherlich die eine oder andere Seite füllen, sollen hier aber nicht Thema sein. Tatsächlich diente mir der Trains Pub in Germersheim in einem anderen Buch als konkrete Kulisse. Das Buch trägt den Titel Jos Leben und ist, wenn man denn so will, im weitesten Sinne der autobiografische Roman, der Die Zeit der Großen Wanderschaft nicht ist.

Der Trains Pub war (wenigstens zu meiner Zeit) vor allem eines ausdrücklich nicht: eine Studentenkneipe. Obwohl in der Nähe des Wohnheims gelegen, wurde er von den Studierenden des Fachbereichs 23 der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz nicht sonderlich frequentiert – und mir war das ganz Recht so. Uni war Uni und Schnaps war Schnaps, sozusagen.

Eines schönen Abends also begab ich mich mit meinem guten Freund Stefan auf das eine oder andere Weizen in den Trains Pub und wir redeten über Tischrollenspiele, für die ich mich damals noch so gar nicht begeistern konnte. Ich meinte, wenn es solche Spiele live gäbe, fände ich sie toll, nicht aber mit Würfeln, Papier und Bleistift. Stefan sah mich an und sagte: »Gibt es doch.«

Ich war sofort Feuer und Flamme, ließ mir begierig von den Live Action Role Plays berichten und wir tüftelten noch in der Kneipe die Grundzüge der Figur aus, die ich spielen wollte. Das Kapitel »LARPs« ist indes schnell erzählt: Es wurden derer insgesamt nur drei – unter anderem, weil ich zu schüchtern war und weil ich meine Figur, einen Druiden namens Nagor, ganz unnötig konsequent als verschlossenen und verschwiegenen Einzelgänger gespielt habe. Gerade LARPs aber sind nur sinnvoll, wenn man Kontakte knüpft, die Fähigkeiten seiner Figur in den Dienst anderer stellt und ihnen hilft, wenn man selbst Mit-Spieler ist und sich Mit-Spieler sucht. Das habe ich zu spät begriffen. Ich hätte niemals eine Figur spielen dürfen, die meinen Stärken – dem Redetalent und der Umgänglichkeit – so zuwider läuft wie Nagor. Ich hatte mir vielleicht eine schauspielerisch anspruchsvolle Figur geschaffen, aber eben auch eine, die mir in großen Teilen fremd war, die anstrengend war, die schwierig war. Es war kein Vergnügen, ein Wochenende lang Nagor zu sein – aber Vergnügen ist letztlich ja das, weswegen man auf so ein mittelalterliches Freizeitwochenende geht. Ich jedoch hatte den guten alten Spaßfaktor schlicht völlig vernachlässigt und das entpuppte sich als Kardinalfehler.

An den anderen LARP-Spielern hat das ausdrücklich nicht gelegen. Im Gegenteil: Die Live-Rollenspieler, die ich kennen gelernt habe, haben mich, wie ich war, in ihrer Mitte akzeptiert. Dennoch blieben LARPs für mich aus den genannten Gründen eine Episode. Heute hat sich der Kreis geschlossen und ich spiele mit Das Schwarze Auge und Shadowrun just jene Tischrollenspiele, zu denen ich vor zwanzig Jahren noch überhaupt keinen Zugang hatte.

Für Die Zeit der Großen Wanderschaft waren die LARPs aber trotzdem wichtig, weil ich für sie die Hintergrundgeschichte meines Druiden benötigte – und als ich mit der fertig war, umfasste sie 250 (auf einem Commodore Amiga geschriebene) Seiten, auf denen verschiedentlich Bezug genommen wurde auf Völkerwanderungen der Vergangenheit. Schon während ich also den Druidenweg, Nagors Vorgeschichte, schrieb, wurde mir klar, dass es irgendwann einmal eine Vorgeschichte zur Vorgeschichte geben würde.

Der Druidenweg ist rückblickend ein sehr aus dem Bauch heraus geschriebenes Buch. Ursprünglich war es eine sehr unverhohlene Abrechnung mit dem Katholizismus – von »Anspielungen« konnte gar keine Rede sein, von »Fantasy« mithin noch viel weniger. Ich habe dies erst in späteren Fassungen geändert. Die Auseinandersetzung mit Religion und religiösem Fanatismus spiegelt sich jedoch auch in Die Zeit der Großen Wanderschaft noch wider.

Im Druidenweg ließ ich Figuren mit rheinischem Dialekt reden oder kam auf solch glorreiche Gedanken wie den, die Burg der Vampire Burg Slepi Miš zu nennen – wie ich auf die Idee kommen konnte, niemand außer mir und ein paar Eingeweihten würde das serbisch-kroatische Wort für »Fledermaus« kennen und erkennen, ist mir heute selbst schleierhaft.

Aber so war eben vieles am Druidenweg naiv, spontan, roh und wenig durchdacht. Angesichts der eigentlichen Funktion der Geschichte als reine Rückgriffmöglichkeit für mich in der LARP-Rolle des Druiden Nagor reichte das ja grundsätzlich auch. Aber je länger ich heute an Die Zeit der Großen Wanderschaft schreibe, desto öfter fällt mir auf, dass ich nur wenig wirklich unverändert aus dem Druidenweg übernehmen bzw. in eine Linie mit den (späteren) Ereignissen im Druidenweg stellen kann. Je länger ich an Die Zeit der Großen Wanderschaft arbeite, desto öfter überarbeite ich letztlich auch den Druidenweg.

Burg Slepi Miš heißt inzwischen übrigens »Burg Ismiples« – unschwer zu erkennen ein Anagramm des ursprünglichen Namens. Und die Figur des Pherridor, von der später noch die Rede sein wird, ist letztlich (unter anderem) eine Art Gegenentwurf zur für mich letztlich nicht spielbaren Figur des Druiden Nagor. Insofern wirkt der Druidenweg auch in diesem Charakter noch nach.

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