Literatur-Übersetzung, Kinderbuch-Übersetzung: »Die drei ???«

Das Spiel mit den Homophonen oder ein Superpapagei in der Übersetzung

Eigentlich soll das hier ja ein Blog mit Gedanken zum Entstehen eines Fantasy-Romanzyklus werden, aber da ich ein umtriebiges Kerlchen bin und fast immer mehrere Projekte gleichzeitig am Start habe, ist mir bei meinen Streifzügen und Recherchen neulich auf www.rocky-beach.com eine Kritik an Leonore Puschert aufgefallen, zu der ich als Übersetzer gern mal Stellung beziehen möchte.

Da es tatsächlich Leute geben soll, die die »Drei ???« nicht kennen, vorab eine kurze Erklärung:

»Die drei ???« ist der deutsche Titel der Jugendbuchreihe The Three Investigators – Internet-affin oft auch abgekürzt als T3I -, die der US-amerikanische Autor Robert Arthur jr. Anfang der Sechzigerjahre zu schreiben begonnen hat. Später wurde die Reihe von anderen Autoren mitgestaltet und nach Robert Arthurs frühem Tod von diesen fortgeführt. In Deutschland ist die Serie (auch durch die Hörspiele des Labels EUROPA) so beliebt, dass sie selbst nach Einstellung der Serie in den USA von deutschen Autorinnen und Autoren fortgesetzt wurde. Bis heute sind insgesamt über 160 Bücher der Reihe erschienen. Für eine ganze Generation sogenannter »Kassettenkinder« – zu der auch ich mich zähle – waren die »Drei ???« in ihrer Jugend prägend. Als Übersetzer habe ich heute auch einen beruflichen Zugang zu der Serie und mache mir so meine Gedanken, wie sich The Three Investigators bei ihrer Wandlung in die »Drei ???« verändert haben.

Der im Original zweite (je nach Zählweise auch der achte) Fall des jungen Detektivtrios aus dem fiktiven kalifornischen Küstenstädtchen Rocks Beach nun trägt im Amerikanischen den Titel The Mystery of the Stuttering Parrot. In dem Buch sollen die drei Jungen einen verschwundenen Papagei namens Billy Shakespeare wiederfinden. Wie sich herausstellt, ist der jedoch nur einer von sieben sprechenden Vögeln, deren Sprüche zusammengenommen und in die richtige Reihenfolge gebracht das Versteck eines gestohlenen Gemäldes verraten. Hinter Billy Shakespeares Stottern verbirgt sich dabei der Hinweis auf die Hausnummer 222b.

Dazu findet sich auf www.rocky-beach.com unter »Überprüfte Übersetzungen« die Bemerkung:

»(…) Wer weiß, vielleicht waren es die Rätselsprüche, die dafür sorgten, daß die Übersetzung des „Stuttering Parrot“ um einige Jahre hinausgezögert wurde … Frau Puschert vermochte anscheinend das famose Stottern des Papageis nicht in die deutsche Fassung hinüberzuretten, was drei Dinge zur Folge hatte: 1. Der deutsche Titel „der stotternde Papagei“ fiel flach. 2. Zur Kodierung der Hausnummer bediente sie sich römischer Zahlen und taufte hierfür kurzerhand Billy Shakespeare in den römischen Lucullus um. 3. Die Hausnummer lautet nun 150 (L et L et L) und nicht, wie im Original, 222B. Es steht außer Frage, daß 222B viel näher an Sherlock Holmes‘ Hausnummer 221B liegt. Im Französischen löste man das Übersetzungsproblem übrigens außerordentlich elegant: Dort stotterte Billy Shakespeare: „Beaucoup de de de b-bruit pour rien“ …

Dieses Urteil kann jedoch getrost in mehrerlei Hinsicht anzweifelt werden. Denn zum einen ist gar nicht klar, auf wen die Änderungen zurückgehen. Der Kosmos-Verlag hat zahlreiche Bearbeitungen der Reihe vorgenommen, die vor dem Hintergrund des damaligen Zeitgeistes zu sehen sind, Flair und Charakter der Serie aber grundlegend verändert haben. Auch der Verzicht auf das Stottern des Papageis könnte eine solche verlagspolitische Entscheidung gewesen sein. Für Übersetzerin Leonore Puschert wäre es jedenfalls leicht gewesen, den in der deutschen Fassung »Lucullus« genannten Papagei schlicht ebenfalls stottern zu lassen (L-L-Lucullus) und damit, wenn auch nicht auf die ursprüngliche Hausnummer 222b, so doch auf andere Weise auf die von ihr gewählte Zahl 150 zu verweisen. Dass weder diese noch andere naheliegende Lösungen gewählt wurden, lässt vermuten, dass ein »stotternder Papagei« verlagsseitig nicht gewollt war, obwohl sich abgewandelte Shakespeare-Zitate wie »Zwei-Zwei-Zweifel sind Verräter, sie rauben uns, was wir gewinnen können, wenn wir nur einen Versuch wagen« oder »Zwei-Zwei-Zwei Schildern eines Wappens glichen wir, die friedlich stehn, gekrönt von einem Helm« angeboten hätten.

Herausgekommen ist in der deutschen Fassung letztlich tatsächlich eine eher umständliche Lösung. Wo der Papagei im amerikanischen Original den leicht verballhornten Namen eines berühmten englischen Dramatikers trägt und eines seiner bekanntesten Zitate vorträgt, ist er im Deutschen nach einem römischen Senator benannt. Ein für die »Drei ???« typischer Lerneffekt ist trotzdem gegeben. Jedes Kassettenkind weiß heute, dass Lucius Licinius Lucullus »nämlich ein berühmter römischer Feldherr und Schlemmer« war.

Dennoch sollte Kritik an Übersetzerin Leonore Puschert voraussetzen, dass das Rätsel im Amerikanischen in Gänze erfasst wird – und das »famose Stottern« des Papageis ist darin nur das sprachtechnische Vehikel. Entscheidend ist, dass sich T3I-Schöpfer Robert Arthur im amerikanischen Original des Homophons to/two bedient.

Homophone wiederum sind wohl mit die einfachste (und verbreitetste) Form englischer Wortspiele. Als Beispiele genannt seien an dieser Stelle nur der Begriff IOU, der Bandname U2, das Van-Halen-Album 0U812, der Film 2 Fast 2 Furious oder diverse Abkürzungen aus dem Netz- und SMS-Jargon (cu, 4u usw.). Homophone sind also allein schon ob ihrer Verbreitung leicht zu erkennen und zu durchschauen. Deshalb, und weil sich die Serie The Three Investigators ursprünglich an (logischerweise englischsprachige) Kinder und Jugendliche gerichtet hat, die beim Lesen der Bücher eine Chance zum Mitraten haben sollten, nutzten Robert Arthur und seine späteren Mitautoren bei verschiedenen Gelegenheiten Homophone als Grundlage wenigstens von Teilen der zu lösenden Rätsel. Weitere Beispiele hierfür findet sich etwa in The Mystery of the Screaming Clock (dt. »Die drei ??? und der seltsame Wecker«):

1) It’s quiet there even in a hurricane.

Die Lösung dieses Rätselverses lautet natürlich eye und ist ein Wortspiel mit dem homophonen englischen Pronomen I.

2) Take a broom and swat a bee.

Das für des Rätsels Lösung entscheidende Homophon ist in diesem Fall bee/b. »Take a broom and swat a bee« bedeutet also schlicht, der Anfangsbuchstabe b aus dem Wort broom muss wegfallen. So bleibt als Hinweis room übrig.

Doch zurück zum eigentlichen Fall. Die Crux ist – und das übersieht Leonore Puscherts voreiliger Kritiker auf RBC – das Spiel mit den Homophonen. Das reine Stottern »hinüberzuretten«, wäre einfach gewesen, zugleich aber auch vergleichsweise plump, weil es nur den formellen Teil des Rätsels aufgegriffen hätte. Entscheidend ist, dass es im Englischen eine relativ große Zahl an Buchstaben- und Zahlen-Homophonen (two/too/to, four/for, eight/ate, c/see/sea, o/owe, y/why) gibt, im Deutschen jedoch nicht. Insofern hat Leonore Puschert das einzig richtige getan und die Rätselsprüche der Papageien ihrem Sinn und ihrer Funktion entsprechend so verändert, dass sie auch in der deutschen Fassung den Weg zum Versteck des Gemäldes weisen.

In der französischen Übersetzung (siehe obiges Zitat) wurde anscheinend tatsächlich versucht, sowohl Stottern als auch Homophon zu erhalten – allerdings mit eher zweifelhaftem Erfolg. De und deux sind nämlich schlicht nicht homophon, so dass von einer richtig »eleganten Lösung« aus meiner Sicht nicht die Rede sein kann.

Lesefortschritt:

3 Antworten

  1. Kassettenkind? Wie hübsch, 🙂 Eine Wendung ins Positive, wenn man noch die Keller- und Schlüsselkinder im Ohr hat. Andererseits erinnere ich mich an einen Roman von Wilhelm Genazino (Welcher war das noch gleich?), in dem ein Vater es ganz furchtbar fand, dass sein Kind sich einen Kassettenrekorder wünschte – so ein neumodisches Teufelszeug ;-))

  2. Hallo,
    erst mal vielen Dank fürs Feedback! Nach etlichen Jahren Arbeit an einem Gemeinschaftsprojekt fällt es manchmal schwer, sich daran zu erinnern, wer welche Sätze auf der rocky-beach.com geschrieben hat, aber … das war ich wohl. Vor rund zehn Jahren. Da Sie sich dem Absatz in aller Ausführlichkeit widmen, darf ich wohl hoffentlich auch etwas ausholen?
    Zunächst würde ich gerne klarstellen, daß es nicht unsere Absicht ist, mit jeder überprüfter Übersetzung „Kritik an Leonore Puschert“ zu üben. Wir weisen lediglich auf Abweichungen zwischen Original und Übersetzung hin. Es liegt in der Natur der Sache, daß ein unausgewogener Eindruck entsteht, wenn in einer solchen Kolumne fast ausschließlich Fehlerchen/Schwierigkeiten bei der Übersetzung oder Eingriffe thematisiert werden. Aber nicht jede Wolke erzeugt ein Ungewitter. Es wäre platztechnisch unmöglich und auch unsinnig, die gelungenen Übersetzungen dem Original gegenüberzustellen, da müßte man ja gleich einen Großteil des Buchs abtippen. Wenn Sie sich den Kommentar noch mal ganz genau durchlesen, dann werden Sie feststellen, daß in meiner Beschreibung von Frau Puscherts Übersetzungsvorgang keinerlei negative Wertung enthalten ist. Die einzige Wertung in diesem Kommentar gilt – im positiven Sinne – der „eleganten“ frz. Übersetzung. Aber noch mal: Kritik an Frau Puschert ist das nicht.
    Natürlich ist uns bewußt und wir setzen es als selbstverständlich voraus, daß es zu den Aufgaben einer Übersetzerin gehört, unübersetzbare Wortspiele in äquivalenter Form neu zu modellieren, Eingriffe in den Inhalt inklusive. Und wir wissen um die großen Verdienste, die sich Leonore Puschert mit ihrer Übersetzung der „Three Investigators“ erworben hat: sie ist unserer Ansicht nach eine heimliche Autorin, ohne deren Leistung die drei ???-Serie hierzulande garantiert nicht so erfolgreich geworden wäre – Gudrun Penndorf und Erika Fuchs lassen grüßen. Leonore Puschert hat mit uns ihr einziges Interview zu dem Thema geführt; da es oben nicht erwähnt wird, hier der Link: http://www.rocky-beach.com/special/l_puschert/puschert_leonore2004.html – dort wird auch die eine oder andere Frage geklärt, die in Ihrem Artikel aufgeworfen wird.
    Ich möchte jetzt hier nicht den Rahmen sprengen und darüber diskutieren, welche Vokalnuancen in der Homophonie gestattet sind oder nicht – so unterschiedlich sind die Vokale in frz. „de“ und „deux“ jedenfalls nicht. Mir erschließt sich auch nicht, wieso Sie ein wenig belehrend anmahnen, vor jeglicher „Kritik“ müsse „das Rätsel im Amerikanischen in Gänze erfasst“ werden – so als ob wir es nicht erfasst hätten. Gut gebrüllt, Löwe! Schade nur, daß Sie in Ihrem obigen Zitat mit den Auslassungspunkten unterschlagen, daß gleich über unserem Kommentar natürlich das englische Original zu lesen ist, so daß der Witz des US-Originals durch die Kombination von Zitat und Kommentar gewiß erfaßt werden kann. (Klar, wir haben nicht die Homophonie erwähnt, aber man muß auch nicht immer mit Fachbegriffen um sich werfen.)
    Wie auch immer, ich bleibe dabei: in meinen Ohren ist die frz. Lösung eleganter (die französischen Titel der Serie wimmeln übrigens von tollen Sprachspielen und Lautmalereien!), weil das Rätsel auf diese Weise in unmittelbarer Nachbarschaft zur Baker Street 221B bleiben konnte, während im Deutschen die 150 als Zahl keinen Bezug zum Sherlock-Holmes-Kanon hat, zumal das für die Anspielung recht wichtige B fehlt. In der deutschen Sprache hatte man eben das Pech, daß sich kein berühmtes Shakespeare-Zitat finden ließ (und ich bitte Sie: wer hätte bei den von Ihnen angeführten Zitaten gewußt, daß sie von Shakespeare stammen?). Generell finde ich es etwas voreilig, eine solche Feststellung als „voreilig“ zu schelten – Behauptung ist noch kein Beweis!
    Sehr interessant fand ich Ihre nicht ganz ausgesprochene Vermutung, man habe vermieden, das Stottern aus Rücksichtnahme auf junge Leserinnen und Leser, die selbst darunter leiden, in den Titel zu heben oder überhaupt in dieser Form zu übersetzen. Da fragt sich dann nur, wieso in fast jeder zweiten drei ???-Folge mindestens einmal jemand explizit ins Stottern gerät und wieso nur ein Jahr zuvor im „sprechenden Totenkopf“ das Lispeln als „Sprachfehler“ auch in der deutschen Übersetzung entscheidend zur Lösung gehörte? Last, not least: in dem deutschen Titel „Super-Papagei“ erahne ich seit jeher eine feine Ironie – in der Mitte dieses Titels stottert man schließlich fast so wie im „Zauberspiegel“-Hörspiel bei der „Rokoko-Kokotte“ … ohne daß es im deutschen Buch noch eine Rolle spielen würde. ;o)
    Sorry für den langen Kommentar – der Rest ist Schweigen.
    Schöne Grüße von der rocky-beach.com!
    Sven H.
    (Und wer die Shakespeare-Zitate in diesem Kommentar entdeckt, darf sie behalten.)

    1. Hallo Sven,
      besten Dank für die Rückmeldung. Ich bin – falls das nicht deutlich geworden sein sollte – im übrigen durchaus Fan von RBC und weiß eure Arbeit dort generell sehr zu schätzen! Im hier diskutierten Fall hatte ich allerdings das Gefühl, dass das englische Rätsel nicht voll erfasst worden ist und sich darauf eine ungerechtfertigte Kritik gründete. Da dem nicht so ist, habe ich auch kein Problem damit, alles zurückzunehmen und das Gegenteil zu behaupten. 😉
      Das Zitat habe ich schlicht aus Platzgründen gekürzt. Ich fand es ausreichend, sowohl auf die Startseite von RBC als auch auf die entsprechende Unterseite zum „Superpapagei“ zu verweisen und dann darauf zu vertrauen, dass geneigte Leser sich scrollend und gegebenenfalls weiterklickend ausführlicher informieren.
      Dass die Zitate nun nicht die bekanntesten und griffigsten von Shakespeare sind, ist mir auch klar. Aber auch diese hätten sich von Jupiter erklärt sicherlich einbetten lassen. Die Frage, die ich mir gestellt habe, lautete jedoch schlicht: Wie hätte eine Lösung näher am Original aussehen können? (Eine Möglichkeit wäre ja auch noch gewesen, aus Billy Shakespeare etwa einen „Hannes Goethe“ zu machen und mit „Zwei Herzen schlagen, ach, in meiner Brust“ zu arbeiten, aber diese Variante auch noch zu erörtern hätte mir einfach den Rahmen des Artikels gesprengt.)
      Ich sage übrigens nicht, dass man den jugendlichen Lesern das Stottern nicht zumuten wollte. Was ich sage, ist: Homophone sind im Englischen im wahrsten Sinne des Wortes ein Kinderspiel, Kinder kennen sie, Kinder durchschauen sie und deshalb hat Robert Arthur sie vermutlich auch eingesetzt. Warum man in der deutschen Fassung auf das Stottern verzichtet hat, weiß ich hingegen schlicht und ergreifend nicht, wie sich mir generell so manche Änderung nicht erschließt, die Kosmos an den Büchern hat vornehmen lassen. Aber das ist ein weites Feld, das wir gern privat erörtern können. Ich würde mich freuen.

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