Wer bedroht die deutsche Sprache?

Quatsch mit Zigeunersoße

Ehrlich, i mog nimma. Spätestens als ich von Bettina Röhls gelinde gesagt sehr aufgeregtem Artikel über den angeblichen »Irrsinn der Entmännlichung unserer Gesellschaft« gelesen habe, wollte ich mich (nach dem ersten Schreck über mir womöglich abgefallene abstehende Körperteile, der sich zum Glück als unbegründet erwies) eigentlich ausklinken aus einer Diskussion, in der es ganz offensichtlich nicht um Tatsachen geht, sondern einzig und allein ums Rechthaben und in der anscheinend nichts zu abgedreht und übertrieben ist, um es nicht doch ins Feld führen zu können. Aber, ach! Dann wurde die nächste Runde im schizophrenen Spielchen um die Bedrohung der deutschen Sprache eröffnet – anhand von Zigeunersoße.

Hintergrund: Das »Forum Sinti und Roma« hatte von verschiedenen Soßenherstellern die Abschaffung des Begriffs »Zigeunersoße« gefordert, Nachrichtenagenturen hatten es flugs aufgegriffen und bebildert – dazu brauchte es ja letztlich nur ein paar gemeinfreie Fotos aus der Kategorie »Lebensmittel«, die später noch für einen Beitrag über Grillen am Wochenende verwendet werden konnten -, die betroffenen Firmen hatten ihre Gratiswerbung, der gegen die Soße aufbegehrende, bislang denkbar unbekannte Verein seine Publicity und die braven deutschen Bürgerinnen und Bürger ihren Aufreger.

Dabei spricht viel bis alles dafür, dass es sich bei der ganzen Sache in erster Linie um den Profilierungsversuch eines Interessensverbands gehandelt hat. De facto hat sich die Geschichte dann ja auch schnell in Sand und Soße verlaufen. Trotzdem führte die Meldung zu einer Flut an Kommentaren, aus denen ich an dieser Stelle schon gar nicht mehr zitieren mag. Wer will, kann sie ja mühelos recherchieren. Sagen wir einfach, die Meinungen zum Vorstoß des »Forum Sinti und Roma« fielen erwartungsgemäß aus: radikal ablehnend, verächtlich, polemisch, mitunter sogar klar fremdenfeindlich – und natürlich haben diesen Kommentaren zufolge weder die Betroffenen, noch die dazu befragten Sprachwissenschaftler irgend eine Ahnung, logisch.

Die Vermutung liegt nahe, dass sich zwischenzeitlich auch die Mertensteins und Fleischhauers dieser Republik des Themas angenommen hatten. Mich erinnert diese Konstellation irgendwie immer an Fußball: Millionen Deutsche lieben ihn, regen sich auf, diskutieren darüber und haben eine Meinung (wenn auch nicht notwendigerweise Ahnung) – aber nur ganz wenige schaffen es, einen Job daraus zu machen und aktiv gut darin zu sein.

Tatsächlich nämlich scheint Sprachbeobachtung so eine Art deutscher Volkssport zu sein. Oder, genauer gesagt: Theoretische, passiv-selektive Sprachbeobachtung. Denn die dogmatische Opposition gegen alle »politisch korrekten« Änderungen der deutschen Sprache führt ja nicht konsequenterweise dazu, dass alle Deutschen ihre schöne Sprache tatsächlich pflegten, Rechtschreibung und Zeichensetzung beherrschten, beherzigten oder sich wenigstens aneignen würden und mit dem Duden im Arm schlafen gingen. Wenn dem so wäre, könnte ich immerhin noch verstehen, warum sie sich durch Veränderungen offenbar persönlich beleidigt, bedroht oder angegriffen fühlen – nicht aber, wenn ein Großteil die deutsche Sprache ansonsten bei jeder Gelegenheit mit Füßen tritt.

Ob nun »Schantall, tu ma die Omma winken!« oder »Isch geh Schulhof« – jedes hinlänglich bekannte Beispiel für Dialekte, Soziolekte oder Ethnolekte wird in Deutschland in den Rang eines sprachlichen Phänomens erhoben und zum Aufhänger für mindestens ein Buch. All diesen Büchern ist ein reiner Beobachtungscharakter gemein. Es handelt sich um Berichte aus (so heißt es ja auch unumwunden) dem Alltag bestimmter Berufsstände oder sonstiger Gruppen, erzählerisch allenfalls minimal aufgehübscht und im Wesentlichen Ergebnis von nichts weiter als dröger Fleißarbeit. Vorbei die Zeit, da Bücher noch das Seltene, Ungewöhnliche oder sogar Einmalige zum Inhalt hatten. Sprachbeobachtungsbücher sind integraler Bestandteil der Einwegliteratur der »Generation Facebook«, Abfallprodukte vom Bahnsteig, aus dem Park oder dem Wartezimmer. Sie öffnen keine Horizonte, sie beschreiben nur das, was für jeden einen Wiedererkennungswert hat, weil jeder eine Schantall samt Omma kennt und einen, der Schulhof geht.

Jedes in die linguistische See geworfene Kieselsteinchen ist in Deutschland dazu angetan, eine Tsunamiwarnung auszulösen, mögen die Wellen auch noch so klein und kurzlebig sein. Alles, was die Deutschen als »natürliche Sprachentwicklung« einstufen, beobachten sie mit einer gewissen Faszination. Alles, was sie für »künstliche Sprache« halten, lehnen sie ab.

»Natürliche Sprachentwicklung« ist dabei auffallend oft das, was eine Lockerung der Regeln für Rechtschreibung und Grammatik beinhaltet, selbst wenn es auf der anderen Seite bedeutet, dass man sich anderen, neuen Regeln zu unterwerfen hat, die keinen Deut unkomplizierter sind. Manch einer schreibt in Chats und Foren munter in einem Mischmasch aus Smilies, Emoticons, Zahlen und Zeichen, fühlt sich aber andererseits von den gängigen geltenden Regeln für Groß- und Kleinschreibung überfordert.

Fakt ist: Sprache ändert sich nicht aus sich heraus »von selbst«, Sprache wird immer auch bewusst verändert – und das ständig und nicht notwendigerweise von Leuten, die dafür kompetent sind und nicht notwendigerweise aus hehren Gründen. Wenn Begriffe wie »Fussball« (falsch) geschrieben werden (oder »eMail« oder »FeuchtCreme«), bloß um sie rechtlich schützen lassen zu können und Kohle damit zu machen, dann regt sich niemand darüber auf. Aber wenn die Leipziger zu ihrem Kulkwitzer See liebevoll »Kulki« sagen oder zum Völkerschlachtdenkmal »Völki«, dann finden sich garantiert Leser der FAZ, die sich über diese »Verniedlichung« aufregen.

Ein weiteres Beispiel für Eingriffe in die Sprache ist die Marketing-Mär, wonach Firmennamen des Werbeeffekts wegen allein zu stehen haben und nicht mit Bindestrichen an andere Wörter gekoppelt werden dürfen. Tatsächlich nämlich dürfte diese PR-Idiotie in erster Linie für Verwirrung sorgen, schließlich weiß man inzwischen nicht mehr, ob »Leise Motoren« nun geräuscharme Motoren sind oder Motoren der Firma Leise, und ob der »Dredner Bank-Berater« nun ein Banken Beratender aus Dresden ist oder ein Berater von der Dresdner Bank.

Dabei ist die Regel eindeutig: Im Deutschen gibt es keine getrennt geschriebenen mehrteiligen Hauptwörter. Wenn man also schon nicht das sprachliche Mindestgeschick aufbringt, »das Betriebssystem Linux« zu schreiben, um so die lästigen Bindestriche ganz einfach zu umgehen, heißt es »das Linux-Betriebssystem«.

Was nun die Soße des Anstoßes angeht (die völlig überraschend immer noch Zigeunersoße heißt), so hätte man sie ihrer Herkunft entsprechend vielleicht in »Ungarische Soße« oder »Rumänische Soße« umbenennen können. Das hätte natürlich einen gewissen Aufwand bedeutet, aber der Marketingeffekt wäre womöglich nicht ohne gewesen. Immerhin wäre es nur alte Soße in neuen Schläuchen gewesen und schon Raider wurde ja irgendwann zu Twix und Brise heißt seit neuestem Glade. (Ja, auch Produktumbenennungen sind nämlich gar nicht so selten.)

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